Führungskräfte - Blog

Willkommen im Club!

Fatima  Özer

Ich erkenne Menschen sofort. Willkommen im Club der Hellseher in Führungsposition.

Vor kurzem hatte ich ein Führungskräftetraining. Eine bunte Mischung aus Vertrieb, Produktion und Personal. Also Menschen mit Erfahrung. Menschen, die schon viel gesehen, geleitet und entschieden haben. Und wie das in solchen Gruppen oft ist, beginnt früher oder später einer mit dem Klassiker:

„Ich habe in meiner Laufbahn bestimmt schon Hunderte Menschen eingestellt. Ich erkenne sofort, wer passt, wer motiviert ist, wer ein Teamplayer ist und wer später Schwierigkeiten macht. Das spüre ich einfach.“

Aha, also ein Hellseher mit Fehlerfrüherkennungssystem. Glückwunsch.

Ich gebe zu: Ein Teil von mir hat zustimmend genickt. Weil ja – Erfahrung hilft. Wer viele Gespräche führt, lernt schnell, auf Zwischentöne zu achten. Mimik, Gestik, Körpersprache, Wortwahl. All das verrät viel, aber eben nicht alles.

Und trotzdem begegnet mir genau diese Selbstsicherheit in Führungsetagen ständig.
„Ich weiß, wie Menschen sind.“
„Ich spüre das sofort.“
„Mein Bauchgefühl täuscht sich nie.“

Ja klar. Und morgen heilst du mit Handauflegen.

Zwischen Gefühl und Gewohnheit: Warum wir uns gerne täuschen

Natürlich entwickelt man mit der Zeit ein Gefühl für Menschen. Wir alle haben unser internes Radar, das uns signalisiert: Da stimmt was, oder auch eben nicht.
Aber was viele dabei vergessen: Dieses Radar ist nicht neutral. Es basiert auf unseren Erfahrungen, Prägungen, Vorurteilen und unserem Ego.

Was wir da angeblich „sofort erkennen“, sind oft keine Menschen sondern unsere eigenen Schablonen.
Landkarten, die wir über die Wirklichkeit legen, um schnell urteilen zu können.

Weil es praktischer ist, Menschen in Schubladen zu sortieren, statt sich wirklich mit ihnen auseinanderzusetzen. Sympathisch oder raus. Wortgewandt gleich kompetent. Ruhig gleich schwierig.
Und zack, Entscheidung getroffen. Zack, Potential verpasst. Also Schublade auf, Schublade zu.

Der Denkfehler im Bauchgefühl

Viele Führungskräfte verwechseln Intuition mit Automatik.
Was wie ein „sicheres Gespür“ wirkt, ist oft nur ein eingespielter Denkreflex.

Der laute Bewerber? Der ist doch super für Vertrieb.
Die introvertierte Bewerberin? Oh je, ob die sich im Team durchsetzt?
Der mit dem lockeren Spruch? Der passt bestimmt perfekt.

Und dann wundert man sich sechs Monate später über Teamkonflikte, hohe Fluktuation oder das Gefühl, dass da „irgendwas nicht stimmt“.

Die Wahrheit ist: Du siehst das, was du sehen willst.

Oder was deine Komfortzone dir erlaubt zu sehen. 

Denn echte Menschenkenntnis beginnt nicht mit schnellen Urteilen –
sondern mit dem Mut zur Unsicherheit. Mit dem Eingeständnis, dass du jemanden nicht kennst. Noch nicht.

Du willst Menschen besser einschätzen? Fang bei dir selbst an.
Reflektiere deine Muster. Deine Vorurteile. Deine Trigger.
Denn solange du dir selbst nicht auf die Schliche kommst, wirst du auch andere nur durch deine eigene Brille sehen.

Und diese Brille kann trügen. Sehr sogar.

Der zweite Blick ist oft der entscheidende

Manche Menschen beeindrucken im ersten Moment. Sie wissen, wie man auftritt, formuliert, verkauft.
Andere wirken leise. Zurückhaltend. Zögerlich.

Aber weißt du was?

Die Lauten sind nicht automatisch die Leistungsstarken. Die Zurückhaltenden nicht automatisch schwach.
Und die Unauffälligen nicht automatisch langweilig.

Manchmal sitzen die wahren Talente still in der Ecke – und werden übersehen, weil sie nicht in dein Beuteschema passen.

Menschen sind keine Excel-Zeilen. Charakter ist kein KPI.

Was im Businessalltag oft verloren geht, ist Menschlichkeit.
Wir pressen Persönlichkeiten in Anforderungsprofile. Bewerten anhand von Checklisten. Entscheiden innerhalb von Minuten.

Und dann wundern wir uns, warum Teams nicht harmonieren.
Warum „der Neue“ doch nicht so „passend“ ist wie gedacht.
Oder warum Diversity nur auf dem Papier gut klingt.

Was wäre, wenn wir stattdessen sagen würden:
Nicht: „Ich weiß, wie Menschen sind.“
Sondern: „Ich bin neugierig, wer DU wirklich bist.“

Denn Menschen lassen sich nicht vollständig erkennen – schon gar nicht in einem Vorstellungsgespräch oder auf dem ersten Blick.

Mein Appell an alle Führungskräfte:

Hör auf, Menschen zu kategorisieren, bevor du sie wirklich kennst.
Nimm dein Bauchgefühl ernst – aber prüfe es auch mal.
Frag dich: „Wen übersehe ich gerade – und warum?“
Und trau dich, den zweiten Blick zuzulassen.

Denn wer wirklich führen will, muss mehr können als entscheiden.
Er oder sie muss auch verstehen.
Und dafür braucht es etwas, das in vielen Führungsetagen selten geworden ist:
Neugier. Und Demut.

Denn Potenzial bleibt nicht an der Oberfläche.

Es steckt oft genau dort, wo du nicht sofort hinsiehst. Und es wäre doch verdammt schade, wenn du ausgerechnet DAS übersiehst.

Jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Lass uns diesen Schritt zusammen gehen und deine Führungskompetenzen auf das nächste Level heben.

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